Die Wahrheit über Sugar

Wie Meinung in der Bundesrepublik Deutschland gemacht wird, hat der Fall Sugar einmal mehr deutlich gemacht. Da braucht sich nur ein bekannter Tierschützer hinstellen, in Sugars Fall der Geschäftsführer des Hamburger Tierschutzvereins (HTV), und behaupten, das Tier sei unberechenbar, übersteigert aggressiv und gefährlich für Mensch und Tier, und schon springen Bild, Jauch & Co. auf den Zug auf und verkünden unisono und in penetranter Regelmäßigkeit von der gefährlichsten Beißmaschine des Landes. Dass bei derartiger Medienpräsenz selbst überzeugte Hundefreunde auf die Idee kommen könnten, diese Hündin gehörte eingeschläfert, verwundert da nicht wirklich.

Doch was ist tatsächlich passiert?

Da gab es einen Halter, der sich partout nicht an die Hamburger Hundeverordnung halten wollte und es gar nicht einsah, seine willkürlich in die Kategorie 1 eingeordnete Hündin Sugar den Behörden zu melden. Und weil er sich sicher war, dass von Sugar keinerlei Gefahr ausging, hat er ihr auch nicht den vorgeschriebenen Maulkorb zugemutet und sie frei laufen lassen. Nun hatte er aber nicht damit gerechnet, dass ihn der Städtische Ordnungsdienst (SOD) bei dieser Ordnungswidrigkeit ertappten würde. Und schon gar nicht hatte er damit gerechnet, was dann geschah. Denn eh er sich versah, wurde Sugar  am 8. April 2004 beschlagnahmt und ins Tierheim in der Süderstraße gebracht. Der Beginn eines 15 Monate währenden Martyriums der ca. 4 Jahre alten American Staffordshire Terrierhündin.

Bereits am 19. April 2004 wurde ein erster Wesenstest von Herrn Poggendorf, Geschäftsführer des HTV, und der Diplom-Biologin Frau Kielau medienwirksam auf dem Gelände des HTV durchgeführt, den Sugar nicht bestand. Laut dieser beiden „Sachverständigen“ ginge von Sugar eine bedeutende Gefahr für Menschen und Artgenossen im täglichen Umgang aus. Sie habe immer wieder einen Kinderwagen mit Babygeschrei attackiert, griff Rüden wie Hündinnen ohne vorherige Kommunikation an und habe einen imitierten Jogger sowie Figuranten bei einer gestellten Schlägerei trotz Maulkorb  attackiert.

Sugar auf dem Weg in die Freiheit. Ganz mutig: Wolfgang Poggendorf hält den vermeintlich gefährlichsten Hund Deutschlands ganz ohne Maulkorb nur an der Leine! Fotos: Kampfschmusergemeinde

Knapp ein Jahr später, am 18. April 2005, wurde Sugar erneut – und wieder in Anwesenheit unzähliger Journalisten und TV-Teams – getestet. Diesmal von Dr. Dorit Feddersen-Petersen. Ihre Beurteilung zusammengefasst: „Sugars Verhalten Menschen wie Artgenossen gegenüber ist nicht berechenbar, da Sugar nicht bzw. kaum kommuniziert. Sugar ist sehr schnell, hoch erregt und beruhigt sich sehr langsam oder gar nicht, attackiert dennoch immer wieder, auch als sie körperlich extrem ermüdet und sichtlich erschöpft war. Artgenossen wie Menschen werden von Sugar verfolgt und attackiert (die Attacken sind trotz Maulkorb äußerst schmerzhaft), sie weist offenbar große Defizite einer Sozialisation auf. Somit muss Sugar als hochgefährlich angesehen werden. Der Test ist nicht bestanden und eine Einschläferung wird dringend geraten, da die Hündin unter ihrer isolierten Lebenssituation im Hamburger Tierheim Süderstraße bereits ein Jahr leiden muss.“

Zu ganz anderen Ergebnissen kam Dr. Bettina Christian, die Sugar am 27. Mai 2005 nochmals testete – dieses Mal ganz ohne Maulkorb, in Anwesenheit ihres Besitzers und nach dem von Prof. Dr. Hackbarth (Tierärztliche Hochschule Hannover) erarbeiteten Wesenstest. Ihre Beurteilung zusammengefasst: „Sugar besitzt auf der Grundlage der Befunderhebung zum momentanen Zeitpunkt kein gesteigertes Aggressionsverhalten und keine gestörte aggressive Kommunikation im Sinne der Verordnung. Trotzdem weist Sugar ein im Bezug auf die Begegnung mit Kinderwagen für Dritte gefährliches Verhalten auf. Die Diskrepanz zwischen den Ergebnissen der Wesensteste ist auffällig, möglicherweise ergibt es sich aus: der Anwesenheit des Besitzers in dem letzten Test, der unterschiedlichen Art und Weise des Führens und der Tatsache, dass Sugar im letzten Test keinen Maulkorb tragen musste.“ Dr. Christian hielt es zudem für möglich, dass eine fachkundig durchgeführte Verhaltenstherapie zu einer deutlichen Reduktion oder sogar zum Verschwinden der Gefährlichkeit führen könnte. Sie habe zudem keine Anzeichen einer Überaggression bemerkt.

Die Aufregung des HTV-Geschäftsführers darüber, dass er und die Presse von diesem letzten Test ausgeschlossen wurden, ist hinlänglich bekannt. Und die Boulevard-Presse nahm seine offizielle Stellungnahme, bei dem Test wäre manipuliert worden, dankbar auf. Letztendlich hat dieser fundierte Test, bei dem Sugar lediglich in einem Punkt wirklich versagte, nämlich bei der Situation mit dem Kinderwagen und dem Babygeschrei vom Kassettenrekorder, das Leben von Sugar gerettet. Fachleute, die bei dem Test als Helfer zugegen waren, vermuten  sogar, dass Sugar dieses Fehlverhalten antrainiert wurde. Die Frage stellt sich, wann, wo und wer hat die Hündin so scharf auf Kinderwagen mit Kassenttenrekorder-geschrei gemacht? Denn solange der akustische Reiz fehlte, soll sich Sugar nicht im Geringsten um den vorbeifahrenden Kinderwagen gekümmert haben.

Endlich frei! Eine entspannte Sugar mit ihrer neuen Freundin Sien. Foto: Gnadenhof Lebenswürde für Tiere e.V.

Doch nun kommt der schönste Teil des Mysteriums um Sugar: Christiane Rohn, vom Gnadenhof – Lebenswürde für Tiere e.V. in Amtzell (www.der-gnadenhof.de), Spendenkonto: Kreissparkasse Ravensburg, BLZ 650 501 10, Konto 137241), beurteilte Sugar eine Woche nach dem sie die Hündin zu sich geholt hatte, am 29. Juli 2005, wie folgt:

„Mein erster Eindruck von Sugar im Tierheim Hamburg Süderstraße zeigte mir einen verzweifelten, traurigen und sehr hilflosen Hund. Sie wirkte in keiner Weise gefährlich auf mich. Mein erster körperlicher Kontakt mit Sugar war gekennzeichnet durch eine unermessliche Sehnsucht nach Geborgenheit. Sie kroch in meine Arme und schleckte meine Hände. Unser erster Spaziergang zeigte mir, wie wenig sie in den letzten Monaten erlebt haben muss, denn sie war nervös, neugierig und suchte ständig den Blickkontakt zu mir. Vom ersten Moment an wollte sie mir alles recht machen. Kleinste Handzeichen und Körpersprachenelemente meinerseits genügten, um Sugar zu führen. Unsere Ankunft bei uns auf dem Gnadenhof erlebte ich mit Tränen in den Augen, denn die verhielt sich genau gegenteilig zu den Berichten und Gutachten.

Sie begrüßte alle Menschen und Hunde hier auf dem Hof unglaublich freundlich und vorsichtig. Sien, mein kleiner Dackelmischling, wurde zu ihrer besten Freundin (beide sitzen ständig auf meinem Schoß), und auch das gesamte andere Rudel (mehrere Hündinnen und Rüden) akzeptierte sie sofort. Sugar verhält sich auch im Spiel mit anderen Hunden oder Menschen und bei der Fütterung nicht übererregt.

Auffällig für mich ist ihre große Trennungsangst. Sie zeigt Stresssymptomatiken, wenn ich nicht in ihrer Nähe bin und deutliche Erregungszustände, wenn eine unsichere Person sie führt. Sugar ist überfordert, wenn sie selbstständig Entscheidungen treffen muss und neigt in solchen Situationen zu Ersatzhandlungen. Aber nicht einmal dann wirkt sie auf mich unberechenbar oder unkontrolliert. Ihr körperlicher Zustand war vom ersten Tag an geprägt von einer Scheinträchtigkeit, zu wenig Kondition, einer Ohrenentzündung und einer Schürfstelle auf dem Rücken und an der Nase. Von uns wurde Sugar tierärztlich behandelt und sie lebt bei mir in unserer Privatwohnung mit unseren anderen Hunden im Rudel zusammen. Sie schläft am allerliebsten auf dem Sofa oder in meinem Arm. Katzen würde sie gerne jagen, aber auch hier hat sie sich sofort meiner Meinung angeschlossen, dass wir hier friedlich miteinander leben. Inzwischen sitzt Sugar mit mir zwischen Gänsen, mit Sicherheit ohne wirklich zu verstehen, warum sie bei uns alt werden dürfen, aber sie akzeptiert meine Einstellung ohne Widerspruch. Ich habe Sugar auf meine ganz individuelle Art einen Weg gezeigt, ohne jegliche Härte oder Gewalt, einfach mit Verständnis, Klarheit, Vertrauen und Liebe.“

Bei Christiane Rohn kann Sugar beweisen, dass sie eben doch keine bösartige Kampfmaschine ist. Foto: Gnadenhof Lebenswürde für Tiere e.V.

Viele Hundefreundinnen und -freunde haben sich nach der Lektüre des Berichts von  Christiane Rohn, die inzwischen von den Medien als  Hundeflüsterin bezeichnet wird, gefragt, wieso wurde Sugar im Tierheim Süderstraße eigentlich nicht ärztlich versorgt? Diese Frage hat sich auch der Hundefreund Günter V., der deshalb nachfolgende Anfrage an den Vorstand des HTV gerichtet hat:

„Sehr geehrte Damen und Herren,
sicherlich dürfte Ihnen mittlerweile auch die erste Stellungnahme zum Verhalten der Hündin ‚Sugar‘, die nunmehr von Frau Christiane Rohn auf der HP www.der-gnadenhof.de veröffentlicht wurde, vorliegen.
Die öffentliche Forderung Ihres Geschäftsführers Herrn Poggendorf nach Einschläferung der Hündin ‚Sugar‘ in der Hamburger Presse, wurde ebenfalls von Herrn Poggendorf und Ihrer Hundeexpertin Frau Hess in der Sendung Stern TV verbreitet. Desweiteren forderte Herr Poggendorf ebenfalls über 4 andere TV-Sender die Einschläferung der Hündin. Zwischen den derzeitigen nachweislichen Verhaltensweisen der Hündin und den Informationen, die von Herrn Poggendorf und Frau Hess öffentlich bundesweit verbreitet wurden, herrscht eine erhebliche Diskrepanz.
Als Hamburger Steuerzahler, dessen Steuern auch für den Hamburger TSV verwendet werden, bitte ich mir mitzuteilen, wie es Ihrer Meinung nach zu der plötzlichen Wandlung der Hündin kommen konnte? Vielleicht sollten Sie als Vorstand auch einmal eine Stellungnahme auf Ihrer HP veröffentlichen, wie es zu der Beurteilung der Hündin als ‚unberechenbar gefährlicher untherapierbarer‘ Hund seitens Ihrer Mitarbeiter kommen konnte.
Ebenso erstaunlich ist es, dass die Hündin offensichtlich mit einer Ohrenentzündung, sowie Hautliäsionen abgegeben wurde. Meines Wissens nach unterhält der HTSV eine eigene Tierarztpraxis für die hauseigenen Tiere, so dass doch jederzeit genügend vetmedz. Versorgung zur Verfügung steht. Wurde die Hündin nicht regelmäßig beobachtet, bzw. medizinisch versorgt? Oder kam auf Grund der angeblichen Gefährlichkeit der Hündin eine vetmedz. Versorgung nicht mehr in Betracht?
Durch diesen Fall ist der Ruf des HTSV in der Öffentlichkeit leider stark beschädigt. Insbesondere im Internet werden Forderungen nach Aufklärung seitens des HTSV sehr laut. Es mehren sich die Stimmen, die die Seriosität des HTSV anzweifeln, insbesondere werden Forderungen zum Rücktritt von Herrn Poggendorf laut. Kritik an der Qualifikation des Pflegepersonals macht sich breit. Sicherlich keine schöne Situation für Ihren Verein.
Ich bin mir sicher, dass Sie als Vorstand die Situation unverzüglich klären können und hoffentlich umgehend eine öffentliche Stellungnahme abgeben werden. Ich sehe Ihrer Antwort bis zum 09.08.2005 entgegen.
Mit freundlichen Grüßen“

Vor dem Hintergrund, dass noch immer etliche andere so genannte Kampfhunde im Tierheim Süderstraße in Isolationshaft sitzen, darf man gespannt sein, ob und wie sich der Vorstand des HTV zu den Vorwürfen dieses Hundefreundes äußern wird.

Die Bemerkungen des HTV-Geschäftsführers am 5.8.05 im Hamburger Abendblatt zu Sugar: „Einen Hund kann man nicht in wenigen Tagen umkehren, das wäre ein Wunder der Natur“, lässt für erfahrene Hundekenner allerdings nur die eine Frage offen: „Was ist Sugar in der Süderstraße widerfahren, dass sie sich derart auffällig verhalten hat?

Fortsetzung folgt