Gisela O. ist 77 Jahre alt und hat sich in ihrem langen Leben nie etwas zuschulden kommen lassen. Gemeinsam mit ihrem fast 14-jährigen Cockerspaniel Benjamin lebt die alte Dame in den Elbvororten.
Gisela Oldenburg versteht die Welt nicht mehr, seit ihr Mitte Dezember 2007 ein anwaltliches Schreiben zugestellt wurde, in dem behauptet wird, Benjamin hätte am 1. Dezember 2007 vor dem Drogeriemarkt Budnikowsky eine Frau gebissen. Die Frau habe in der Hocke gesessen, um ihr Fahrrad anzuschließen, als der Hund schwanzwedelnd auf sie zugekommen sei. Als die Frau ihre Hand dem Hund zum Schnüffeln hingehalten habe, hätte dieser ohne Vorwarnung zugebissen. Den Hund beschrieb die Frau als goldfarbenen Cockerspaniel, der eine gelbe Leine hinter sich hergezogen habe.
Giesela Oldenburg ist sich sicher, am fraglichen Tag nicht mit ihrem Hund in der Nähe vom Drogeriemarkt gewesen zu sein. Außerdem ist ihr Cockerspaniel nicht goldfarben. Er hat ein weißes Fell mit braunen Flecken, in Fachkreisen auch orangeschimmel genannt. Eine gelbe Leine hat die Halterin nie besessen, so dass Benjamin auch nicht mit einer gelben Leine angetroffen worden sein könne.
Am 17. Dezember 2007 erstattet die angeblich von Benjamin gebissene Frau, Sigrun Le Ker-Kiesewetter (66), Anzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung gegen die Hundehalterin. Durch ihren Anwalt gibt sie zu Protokoll, dass das Tier krank und bekanntermaßen bissig sei. Am 23. Dezember 2007 nimmt Giesela Oldenburg gegenüber der Polizei schriftlich zur Anzeige Stellung. Sie macht deutlich, dass die Farbe des in der Anzeige beschriebenen Hundes mit dem Farbschlag von Benjamin nicht in Einklang zu bringen sei und weist darauf hin, keine gelbe Leine zu besitzen. Außerdem sei ihr Cockerspaniel weder krank, noch habe er zuvor jemals gebissen. Gisela Oldenburg lässt im Protokoll der Polizei ausdrücklich vermerken, dass sie mit einem Strafbefehl nicht einverstanden sei. Um den vermeintlichen Irrtum schnell aufzuklären, erklärt sie sich aber bereit, ihren Hund von der Polizei fotografieren zu lassen. Obwohl Benjamin ganz eindeutig ein weißes Fell mit braunen Flecken hat, will Sigrun Le Ker-Kiesewetter anhand dieses Fotos den angreifenden goldfarbenen Hund identifiziert haben.
Im Februar 2008 stellt die Staatsanwaltschaft eine Anfrage an die Polizei, ob der Hund bereits aktenkundig sei. Die Nachfrage beim Verbraucherschutzamt ergibt, dass Benjamin bislang nicht in Erscheinung getreten sei. Dennoch stellt die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Hamburg-Blankenese einen Antrag auf Strafbefehl gegen Gisela Oldenburg, woraufhin gegen die Hundehalterin ein Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen erlassen wird. Gegen diesen Strafbefehl hat Gisela Oldenburg Einspruch eingelegt und lässt sich seither anwaltlich vertreten.
Am 15. Mai fand nun die Verhandlung vor dem Amtsgericht Hamburg-Blankenese statt. Dort beteuert die Hundehalterin: „Benjamin war das nicht!“. Sie gibt zu Protokoll, dass sie an diesem Tag gar nicht vor dem Drogeriemarkt gewesen waren, das habe sie auch in ihrem Kalender notiert. Zudem habe sie nie eine gelbe Leine besessen. Zum Beweis hat sie die alte abgegriffene, braune Leine von Benjamin dabei.
Das Opfer, Sigrun Le Ker-Kiesewetter ist sich dagegen sicher, dass Benjamin der Täter war: „Nach dem ich aus dem Krankenhaus entlassen war, habe ich in allen Blankeneser Geschäften den Cocker Spaniel beschrieben und mir wurde immer der Hund von Frau Oldenburg genannt“. Zudem habe sie Benjamin auf dem Polizeifoto eindeutig identifiziert. Als Rechtsanwalt Ralf Becker, der Benjamins Frauchen vertritt, Sigrun Le Ker-Kiesewetter auf ihre Sehbehinderung anspricht, kommt sie ins Stocken und kann sich auch gerade nicht an den Grad ihrer Sehbehinderung erinnern.
Zur Entlastung seiner Mandantin hat Rechtsanwalt Beckmann recherchiert, dass es in Blankenese mindestens einen weiteren Cocker-Spaniel im Farbschlag orangeschimmel gibt. Dessen Halterin und weitere Zeugen sollen jetzt vernommen werden. Das Gericht hat das Verfahren zunächst ausgesetzt. Der als ruhig und gutmütig bekannte Benjamin hat also gute Chancen, dass sich der Vorwurf, ein unberechenbarer Beißer zu sein, bei der nächsten Verhandlung in Luft auflösen wird.