Sitzung des Gesundheitsausschusses vom 20. Mai 2005

Der Gesundheitsausschuss der Bürgerschaft hört Expertenmeinung zum Eckpunktepapier von Senator Dräger:

Am 20. Mai 2005 fand eine weitere Sitzung des Gesundheitsausschusses der Bürgerschaft zur „Neuregelung der Haltung von Hunden in Hamburg“ im großen Festsaal des Rathauses statt, um die Meinung von Experten zum – bereits für den Herbst geplanten – neuen Hamburger Hundegesetz einzuholen. Die Ausschussmitglieder der Fraktionen von CDU, SPD und GAL hatten deshalb Wolfgang Poggendorf (HTV), Dr. Oliver Brändel (IG Hundefreunde Alstertal), Angela Wierig (Hunde-Lobby Hamburg), Dr. Johannes Caspar (Verfassungsrechtler), Ministerialrat Hülsenbusch (Referatsleiter VI-7 Rechtsangelegenheiten in NRW), Dr. Barbara Schöning (Tierärztekammer Hamburg), Georg Ehrmann (Deutsche Kinderhilfe Direkt e.V.) und Klaus Meyer (Inhaber einer Hundeschule) zu der Anhörung eingeladen. Zunächst gab der Ausschussvorsitzende Krüger (CDU) den Fachleuten Gelegenheit zu einer persönlichen Stellungnahme.

HTV fordert 200 Auslaufflächen
Nach den hinlänglich bekannten Statements zu großen Hunden, die der HTV augenscheinlich lieber in andere Tierheime abschiebt als sie in Hamburg zu vermitteln, sagte Wolfgang Poggendorf: „Als Tierschützer, der auch andere Tiere schützen muss, kann sich der HTV nicht für den Freilauf einsetzen“. Daher sei er bei Haltern, die nicht in der Lage sind, Hunde ohne Leine zu beherrschen, grundsätzlich für die Anleinpflicht. Darüber hinaus erneuerte er seine bereits in seiner Funktion als Tierschutzbeirat gestellte Forderung nach der Einrichtung von insgesamt 200 Freilaufflächen, damit jeder Halter eine Fläche innerhalb von 10 Fuß-Minuten erreichen könne.

Gesetz muss einer Verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten
Dr. Brändel, als Vertreter von rund 2.000 HundehalterInnen aus Hamburg Nord, sprach sich dagegen aus, dass die überwiegende Mehrheit der Hundebesitzer für die Sünden einzelner büßen solle. Nach einem deutlichen „Ja“ zur Haftpflichtversicherung, stimmte er der Chippflicht nur bedingt zu, da diese nicht in allen Bundesländern zwingend vorgeschrieben sei und es daher zu „grenzüberschreitenden“ Problemen kommen könne. In diesem Zusammenhang stellte er auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen. Allerdings stimmte Brändel den neuen Rasse-Kategorien 1 bis 3 zu und plädierte sogar für die Möglichkeit, gefährliche und nicht resozialisierbare Hunde einzuschläfern. Hinsichtlich des generellen Leinenzwangs sagte der Anwalt am BGH: „Das Gesetz steht und fällt mit den Freilaufflächen“. Aufgrund der vielen unzureichenden und zu kleinen Flächen forderte er, größere, zusammenhängende Gebiete für Hunde freizugeben und die Verpflichtung zur Schaffung neuer Flächen ins Gesetz hinein zu schreiben.
Befreiungstatbestände an der Größe eines Hundes festzumachen, halte er für problematisch, da gerade kleine Hunde ohne Leine Aggressionen (bei großen, angeleinten Hunden?) förderten. Wenn ein genereller Leinenzwang eingeführt werden müsse, dann für alle Hunde. Der Sachkundenachweis müsse allerdings deutliche Vorteile für den Halter mit sich bringen: So müssten die Hunde außerhalb sensibler Bereich eben auch in den Grünanlagen von der Leine gelassen werden dürfen. Dabei sollte die Freistellung von der Leinenpflicht eine automatische Folge des Sachkundenachweises sein. Bei einer Kontrolle durch den SOD müsse die Vorlage des Sachkundenachweises als Legitimation ausreichen. Zudem sollte für langjährige Hundehalter, die regelmäßig ihre Hundesteuer abgeführt hätten und deren Hund nicht auffällig geworden sei, die Sachkunde vorausgesetzt werden. Abschließend machte Brändel deutlich, dass eine Gesamtregelung, die die Hundehaltung unverhältnismäßig und unzumutbar verteuern würde, einer Verfassungsrechtlich Überprüfung nicht standhalten würde.

Anreiz für den Sachkundenachweis fehlt
Den Ausführungen Dr. Brändels zum Sachkundenachweis, schloss sich Angela Wierig für die Hunde-Lobby Hamburg an. Sie appellierte an die Ausschussmitglieder, nicht aus den Augen zu verlieren, dass alles was für die Hunde geregelt werde auch Menschen und deren Lebensqualität betreffe. Die Horrorhunde aus Pressemeldungen würden die Politiker zudem in der Wirklichkeit nicht finden. Auch Wierig unterstrich die Forderung nach größeren, weitläufigeren Freilaufgebieten und machte deutlich, das im Eckpunktepapier von Senator Dräger kein Anreiz zu finden sei, die Sachkunde nachzuweisen, um dann auf einer unzureichenden Freilauffläche herumzustehen bzw. seinen Hund an einer viel befahrenen Hauptstraße von der Leine lassen zu dürfen. Neben ihrer Sorge, dass gerade die Auslaufflächen Hundehasser anlocken könnten, gerade dort ihre Giftköder auszulegen, warnte Wierig den Ausschuss davor, ein Gesetz zu verabschieden, für das es in der (Hunde haltenden) Bevölkerung keine Akzeptanz geben wird.

Listenhunde in Berlin kaum auffällig
Nachdem der Verfassungsrechtler Dr. Johannes Caspar auf die verschiedenen Verfahren vor bundesdeutschen Verwaltungsgerichten eingegangen war, informierte er den Ausschuss über das Gutachten der Uni Berliner über „auffällig gewordene Hunde“ vom 11. Mai d.J., demzufolge Kategorie 3-Hunde in Berlin kaum auffällig gewesen seien, dagegen aber der Schäferhund (10% der Population) mit 20 Prozent in Erscheinung getreten sei. Er warnte die Verantwortlichen davor ein Verwaltungsmonstrum zu schaffen und erinnerte daran, dass Niedersachsen ohne Rasselisten auskomme. Er empfahl eine Verhältnismäßigkeitsprüfung mit Blick auf den Tierschutz und die Beschränkungen der Halter.

Schützenhilfe aus NRW
Ministerialrat Hülsenbusch war augenscheinlich nur aus Nordrhein Westfalen angereist, um Hamburg Schützenhilfe bei der Umsetzung des neuen Hundegesetzes zu geben. Das Eckpunktepapier von Senator Dräger enthalte eine Vielzahl von Vorschlägen, die in NRW bereits im Vollzug seien und sich bewährt hätten. Allein eine Revisionsklausel fehle in den Hamburger Eckpunkten, um in regelmäßigen Abständen über den Stand der gefährlichen Hunde neu zu entscheiden. Während der späteren Befragung durch Christian Maaß gab er zu, dass man in NRW mit dem dort gelteneden Hundegesetz nicht kostendeckend arbeite und erhebliche Kosten auf das Bundesland zugekommen seien. Auch würden die ersten verlässlichen Vergleichszahlen zur Beißstatistik nach Einführung des Gesetzes erst in diesem Sommer herausgegeben, so dass er diesbezüglich eine Antwort schuldig bleiben musste.

Tierärztekammer begrüßt sachkundige Halter
Als Präsidentin der Hamburger Tierärztekammer, Tierschützerin und Hundepsychologin, machte Dr. Barbara Schöning deutlich, dass ihr sehr an einem Kompromiss gelegen sei. Neben sachkundigen Haltern, seien die Haftpflicht- und Chippflicht völlig OK. Hinsichtlich der Rasselisten laufe gerade einer der größten Feldversuche und es lägen diverse Doktorarbeiten aus Hannover vor, die eindeutig belegten, dass man pauschal keine Rasse als gesteigert gefährlich bezeichnen könne. Es sei immer ein individueller Hund, der zubeiße. Die engagierte Tierärztin plädierte an den Ausschuss, sehr genau zu prüfen, ob eine derart fein differenzierte Liste erforderlich sei und plädierte dafür, es dem Nachbarland Niedersachsen gleichzutun. Sollte Hamburg jedoch auf die Rasseliste bestehen, müsse gewährleistet werden, den Hund mittels Wesenstest von den Auflagen wieder zu befreien. Auch im Interesse der Hunde begrüßte die Veterinärin die Einführung eines Sachkundenachweises, machte aber deutlich, dass es für langjährige, verantwortungsvolle Halter weit gefasste Übergangsregelungen geben müsse. In diesem Zusammenhang wies sie auf die vielfach schon erarbeiteten Tests (VDH, Tierschutzbund, Jagdhundeverband etc.) hin und sprach sich für eine standardisierte Prüfung aus, zu der es jedem Halter aber freistehen müsse, ob er sich darauf in einer Hundeschule oder anhand von Büchern vorbereite.

Das Problem liegt beim Halter und nicht beim Hund
Klaus Meyer, der nach eigenen Aussagen auch als Sachverständiger für die Gafahrhundeverordnung in Schleswig-Holstein arbeite, sieht das größere Problem beim Halter und er wagte zu bezweifeln, ob das Eckpunktepapier dem gerecht werde. Er plädierte für Kurse in Hundeschulen, da die Halter erfahrungsgemäß nach einem 6-wöchigen Training mit dem Hund ein ganz anderes Denken mit und über ihren Hund hätten. Die Durchsetzung eines generellen Leinenzwangs hielt er nur für durchsetzbar, wenn gleichzeitig genügend Freilaufflächen, die auch auf ihre Funktionalität überprüft werden, eingerichtet würden.

Verantwortliche Halter und aufgeklärte Kinder
Als Vertreter der Kinder, wünschte sich Georg Ehrmann eine sachliche Auseinandersetzung. Bereits vor eineinhalb Jahren habe er in der Konsenzgruppe in Hamburg mitgewirkt. Er beklagte, dass das dort beschlossene – ausgewogene und moderne – Papier anschließend in der Schublade verschwunden sei. Der Kinderschützer befürwortete eine Regelung der Zucht sowie die Chip- und Meldepflicht, betonte aber gleichzeitig, das es nicht die tägliche Gefahr eines Kindes sei, in einem Park von einem Hund angefallen zu werden. Doch wenn etwas passiere, sei das gerade für Kinder sehr traumatisch. Er wünschte sich daher verantwortliche Hundehalter genauso wie Kinder, die in den KiTa’s lernten, wie man richtig auf Hunde reagieren sollte.

Und das interessierte die Ausschussmitglieder
Senator Dräger, der dem ersten Teil der Anhörung – mit augenscheinlich nur mäßigem Interesse – als Gast beiwohnte, unterzeichnete währenddessen seine Tagespost oder andere Dokumente, um dann die Sitzung eilig wieder zu verlassen.
Einen beachtlichen zeitlichen Rahmen nahmen die Fragen der Bürgerschafts-Abgeordneten nach Chippflicht, Register, Datenschutz und den daraus resultierenden Kosten ein, wobei sich drei der 14 Ausschussmitglieder, Dr. Monika Schaal (SPD), Christian Maaß (GAL) sowie Michael Fuchs (CDU), als besonders interessierte Volksvertreter hervortaten.
Auch der Bereich Hundeschule, Wesenstest und Sachkundenachweis nahmen einige Zeit in Anspruch. Interessant war in diesem Zusammenhang die Einschätzung des Chefs der Süderstraße, dass die Anwesenheit des Halters beim Wesenstest nicht erforderlich sei. „Eine Tierpflegerin muss in der Lage sein, den Hund zu führen, weil der Hund beweisen muss, dass er die alltäglichen Situationen bestehen kann“. In diesem Zusammenhang räumte Poggendorf eine fünfprozentige Einschläferungsquote – aus tiermedizinischen Gründen oder aufgrund genetischer Defekte – ein. Und noch ein paar höchst fundierte Einschätzungen hatte der Tierheimchef auf Lager: Von den 30.000 angemeldeten Hunde sei rund ein Drittel im Training (Hundeschule?), mit einem weiteren Drittel hätte man Probleme und bei dem Rest handele es sich um Kleinsthundehalter, die ihre Tiere nie von der Leine oder aus Sorge nur im eigenen Garten rumtollen ließen. Dank mehr als 50 Hundeschulen in Hamburg, rechne er mit einer Besserung der Situation innerhalb eines Jahres nach in Kraft treten des neuen Gesetzes und forderte daher eine einjährige Übergangsfrist. An die Tierärzte appellierte Poggendorf, das Chippen billiger anzubieten.
Die Frage nach Leinen- und Maulkorbzwang beantwortete Frau Dr. Schöning besonders anschaulich. Sie beschrieb dabei das ausgeprägte Bewegungsbedürfnis und Erkundungsverhalten des Hundes sowie die Kommunikation mit anderen Hunden, ohne Behinderung durch die Leine. Sie betonte noch einmal, dass die Hunde sachkundiger Halter – ihrer Erfahrung nach – nur in den aller seltensten Fällen auffällig würden und, dass ein sachkundiger Halter auch für einen individuell als gefährlich eingestuften Hund keinen Maulkorb benötige. Denn im Gegensatz zur Leine sei der Maulkorb eine noch wesentlich extremere Einschränkung und Beeinträchtigung für den Hund.
Dr. Monika Schaal wie auch Christian Maaß zeigten großes Interesse an der Meinung der Experten über die Anforderungen an die Freilaufflächen. Dazu Dr. Barbara Schöning: „Genauso wenig wie ich sagen kann, dass der Hund x Stunden Auslauf braucht, kann ich sagen wie groß die Fläche sein muss. Allerdings 40 x 40 Meter sind definitiv zu klein!“ Einig waren sich die Experten, dass eine Auslauffläche strukturiert sein müsse, mit Bäumen und Büschen bewachsen und ausreichend groß, damit sich dominante und weniger dominante Hunde aus dem Weg gehen können.
Dr. Brändel ergänzte, dass Freilaufflächen überall dort eingerichtet werden könnten, wo nicht zwingend höheres Recht gelte oder besondere Gefahren drohten. Am Beispiel Alsterwanderweg – zwischen Ohlsdorf und Poppenbüttel – erläuterte er die Probleme zwischen Ortsparlamenten, die sich für die Freigabe dieses Teils des Alsterwanderweges ausgesprochen hatten, und der Verwaltung, die sich der Freigabe dadurch widersetze, indem sie kurzerhand den kompletten Alsterwanderweg zum Biotop erklärte. In diesem Zusammenhang forderte Angela Wierig, die vorhandenen Ressourcen besser aufzuteilen und schlug vor, beispielsweise spezielle Rundwanderwege für Hunde und ihre Halter sowie für Jogger einzurichten, um Probleme zwischen diesen beiden Gruppen der Viel-Nutzer von Grünanlagen von vornherein zu vermeiden. Auch temporäre Lösungen – jahreszeitlich wie auch bestimmte Tageszeiten – fanden die Zustimmung der Hundefachleute. „Wenn man flexibel und mit Phantasie über die Karte von Hamburg schaut“, so Dr. Schöning, „sollten sich diesbezüglich noch eine ganze Menge Möglichkeiten auftun!“

Wolfgang Poggendorf beendet die Sitzung
Die Frage von Christian Maaß nach Handlungsbedarf hinsichtlich der Hundezüchter, beantwortete die Präsidentin der Tierärztekammer: „Wenn wir die Tierschutz-Hundeverordnung konkret umsetzen, wäre dieser Punkt schon erledigt“ Weitaus größere Probleme sehe die Tierärztin bei den Hundehändlern. Damit die Amtstierärzte in diesem Bereich tätig werden können, müssten sie allerdings dazu übergehen, die Verkaufs-Anzeigen in den Tageszeitungen zu verfolgen. In diesem Zusammenhang machte Angela Wierig auf einen florierenden Hundehandel in Hasloh, vor den Toren Hamburgs, aufmerksam, der unter dem Mäntelchen des Tierschutzes die schlimmste Art von Hundehandel betreibe, ohne das die Amtsveterinäre dagegen einschreiten würden.
Die Frage des umweltpolitischen Sprechers der GAL augenscheinlich nicht richtig verstanden, referierte Ministerialrat Hülsenbusch nun über die Zuchtverbote der einschlägig bekannten vier Rassen in NRW, was wiederum Wolfgang Poggendorf, nach inzwischen mehr als vierstündiger Sitzung sichtlich erschöpft, auf den Plan rief: „Ich war der Meinung, dass ich zur Novellierung der Hundeverordnung eingeladen war. Ich kämpfe seit Jahren für ein Heimtierzuchtgesetz, aber das ist nicht mein Thema heute!“ Nahm seinen Gehstock und verließ den Saal.

Arge Bedenken
Die Hoffnungen der 60.000 Hamburger HundehalterInnen und ihrer Familien liegen nun bei der Hamburger Bürgerschaft. Und vielen stellt sich die Frage, ob diese Anhörung nur eine Alibi-Funktion erfüllte oder ob die VolksvertrerInnen tatsächlich ein Interesse daran haben, ein Gesetz zu verabschieden, dass Bürgern mit und ohne Hund gleichermaßen zugute kommt, dabei aber die Belange des besten Freundes des Menschen nicht aus den Augen verliert.

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